10.09.2012

Essay: Die Praxis weiblicher Intelligenz am Beispiel des Hessnatur-Übernahmekampfes

"Es waren Männer, die sich unter Ausschluss der Frauen in der Polis trafen und so die Demokratie erfanden, Männer, die sich das römische Patriarchat erschufen, wieder Männer, die dann mit greisenhafter Intelligenz die römischen Dokumente sichteten und daraus das Lebenserhaltungssystem für den „Nichtsnutz“ bastelten, es waren Männer, die schließlich Arbeit und Lebenszeit der Menschheit über die Welt hin in das Interesse von Bubenträumen wie Macht oder dicke Autos einspannten, und es waren Männer, die sich Neoliberalismus und Wettbewerbswirtschaft ersannen. Es sind, mit einer Ausnahme, auch wieder Männer, die wie kleine Jungs gequengelt, geschubst und gelogen haben, bis sie sich Hessnatur auf den Latz schmieren konnten. Es sind dagegen mehrheitlich Frauen, die Hessnatur aufgebaut und so die Bedingungen dafür geschaffen haben, dass nicht jeder Kleiderkauf zwangsläufig zu Umweltzerstörung und Kinderarbeit führen muss. Es waren in der Mehrzahl Frauen, die dann die Genossenschaft hnGeno aufbauten, um die Übernahme des Fair-Trade-Unternehmens durch Spekulanten, Waffenhändler und die Männerfreundschaften eines Herrn Marc Sommer zu verhindern. Es sind zu zwei Drittel Frauen, die sich auf wir-sind-die-konsumenten.de eintragen und ihrem Gefühl Ausdruck verleihen, wonach das Unternehmen nicht in irgendwelche, sondern in ganz bestimmte Hände gehöre. Frauen scheinen ein anderes Sozialbewusstsein zu haben als Männer."

Johannes Mosmann: Die Praxis weiblicher Intelligenz am Beispiel des Hessnatur-Übernahmekampfes

Alle Infos und Hintergründe zum Übernahmekampf bei Hessnatur

5 Kommentare:

Stefan Oertel hat gesagt…

Da ist sicher viel Richtiges gesagt, in diesem Essay. Allerdings klingeln bei mir (ganz sanft) die Stereotypen-Alarmglocken. Es ist immer gefährlich, bestimmte Seiten des Menschen allzu bestimmt mit den Geschlechtern zu assozieren (Frau = Gefühl, Mann = strukturierender Verstand), obwohl es natürlich auch nicht gänzlich falsch ist.

Wenn ich mich aber einmal darauf einlasse, finde ich es auch wieder bemerkenswert, dass gerade dieses Essay (wie alle Texte Johannes Mosmanns) ein wunderbares Beispiel für männliche Verstandestätigkeit im besseren Sinne sind. Wie der Autor da Begriffen Kontur verschafft, präzise abgrenzt, Verschleierungen aufhebt und alles in eine Ordnung führt, ist schon bemerkenswert. Trotzdem hat man am Ende nicht das Gefühl man könnte alles in ein graphisches Schema bringen, eine Computersoftware schreiben, die das Ergebnis ausrechnet und zufrieden sein.

Da sieht man eben, dass es eine Art des Denkens gibt, die die Präzision des männlichen Verstandes aufweist, aber trotzdem mit dem realen Leben, man könnte auch sagen: den Wahrnehmungen verbunden bleibt.

Klar und präzise wie der männliche Verstand - verbunden mit der Welt wie das weibliche Gefühl - mir scheint, dass sich da etwas miteinander verbinden muss!

Johannes Mosmann hat gesagt…

Lieber Stefan,

Danke für dieses schöne Lob. Und für die Kritik. Es ist ja ein völlig richtiges Ideal, dass man sich nicht mit Frau oder Mann identifizieren will, sondern die verschiedenen Eigenschaften einfach als Mensch besitzen möchte. Die Frage ist aber: wie kommt man dazu? Ist der Mensch wirklich mit einem Schlag ein rundes Wesen, oder muss er sich nicht vielmehr unter den Einfluss verschiedenster Einseitigkeiten bringen, um eines zu werden?

Als Beispiel: Bei mir um die Ecke ist eines dieser typischen Männercafes für muslimische Männer, mit verdunkelten Scheiben, und mit einem inoffiziellen Zutrittsverbot für Frauen. Darin sitzen Männer in Anzügen, rauchen, spielen Karten, und unterhalten sich über Geschäfte oder Politik. Wenn ich das sehe, habe ich folgenden Eindruck: die sind irgendwie Jungs geblieben. Die haben es nur zur Ausbildung ihrer Geschlechterrollen gebracht, sind aber nicht wirklich erwachsen geworden. Und das hängt m.E. damit zusammen, dass sie die Frauen unterdrücken. Wären Frauen in ihrer Gesellschaft zugelassen, könnte sich nicht so hemmungslos eine einseitige männliche Prägung ausleben. Die Geschlechter würden miteinander an vielen Stellen in Konflikt geraten, und in diesem Konflikt würde sich allmählich das Individuelle bilden. Von diesem Individuum darf man dann erst sagen, dass es beides kann, männliches und weibliches.

Der Drang zum Individualismus verführt nur allzu leicht dazu, diesen schon für eine Realität zu halten. Es ist aber erstmal ein Ideal. Ich bin bestimmt durch mein Geschlecht, meine Erziehung, meine Nationalität und so weiter. Erst, wenn ich das zugeben kann, kann ich auch zum Individualismus kommen. Ich muss an mir selbst unterscheiden können, was ich mir selbst verdanke, und was dagegen gruppenhaft ist. Die Deutschen sagen gerne: Ich. Sie denken, das wäre universell. Sie gehen sogar soweit, dass sie nationale Identitäten oder Geschlechtermerkmale für Konstruktionen dieses Ich halten. In Wahrheit, so denken die Deutschen, sind alle Menschen gleich. Wenn ein Deutscher dann aber mit so einer vermeintlichen Universalität einem Georgier entgegentritt, dann riskiert der Deutsche, eine aufs Maul zu kriegen. Der Georgier erkennt nämlich in dem vermeintlichen Universalismus der Deutschen den plumpesten Nationalismus. Denn dass die Deutschen immer vom Ich reden müssen, und die Vielfalt der Erscheinungen für Konstruktionen halten, das ist eben typisch Deutsch. Das ist gerade nicht universell ...

Johannes Mosmann hat gesagt…

... Fortsetzung:

Jeder Mann und jede Frau können im Gespräch unmittelbar erleben, wie der Mann zunächst mehr den Verstand, die Frau dagegen mehr das Gefühl betont. Eine typische Szene wäre: die Frau sagt, dass sie dieses und jenes erlebt hat. Der Mann antwortet: dann musst Du an der Stelle X schrauben, davon gehts weg. Die Frau wird wütend, der Mann versteht nicht warum. Die Erklärung ist häufig: die Frau fühlt sich gerade dadurch nicht verstanden, dass der Mann ihr seine Lösungspläne unterbreitet. Sie wollte vielmehr, dass der Mann einfach Anteil nimmt an ihren Gefühlen. Und umgekehrt sieht es genau so aus: Tendenziell erwartet ein Mann von einem Gespräch eher ein Ergebnis von der Art: so und so sieht der Plan aus. Am besten schnell. Während für Frauen ein praktisches Ergebnis auch sein kann, dass man sich selbst in seinen Empfindungen richtig versteht. Wie gesagt, das sind nur Tendenzen, aber eben doch vorhanden.

Dass man solche Geschlechtsbedingten Tendenzen nicht zugeben kann, obwohl sie jeder erlebt, liegt daran, dass die männliche Tendenz zum beherrschenden Prinzip geworden ist. Man wertet deshalb das gefühlsbetonte ab, auch die Frauen werten es ab. Ich kann jedoch nicht sehen, wie man sich von einem Herrscher dadurch befreien sollte, das man sein Urteil selbst vollzieht. Die gegenwärtigen Institutionen sind die Produkte der einseitigen Entfaltung der männlichen Tendenz, über Jahrtausende hinweg. Es ist richtig, dass die Frauen dann auch in die Männerpositionen gekommen sind. Das Problem ist nur: diese Positionen, die gesamte zugrunde liegende Struktur, ist das Produkt von Männern. Es erhalten also Frauen in diesen Positionen ein männliches Gepräge. Dagegen ist nichts einzuwenden. Ich sagte nur: wirkliche Emanzipation bedeutet, dass das Weibliche sich ebenfalls in äußeren Institutionen niederschlagen kann, und die Männer auch umgekehrt das Gepräge der Frauen bekommen. Dadurch kann der Einseitigkeit so entgegengewirkt werden, dass tatsächlich das Individuum alle möglichen Eigenschaften ausbilden kann. Wenn man das Gruppenhafte überwinden will, muss man das Gruppenhafte zuerst als ein Faktum anerkennen. Davon handelte mein Essay, und deshalb ist Streit natürlich vorprogrammiert. Denn gerade da, wo aus einem ganz richtige Ideal heraus die Unterschiede weggeredet werden, anstatt sie zu beachten, bleibt man in ihnen gefangen.

Herzliche Grüße
Johannes Mosmann

Stefan Oertel hat gesagt…

Lieber Johannes,

es ist aber doch gerade eben die Frage, was das ist, dieses "Männliche" und dieses "Weibliche"! Oder dieses "Deutsche"!

Gerade die von dir beschriebene Mann-Frau-Szene, kenne ich im eigenen Erleben umgekehrt. Ich bin zu dem Schluss gekommen, dass es eher eine Temperamentsfrage ist, die da die wesentliche Rolle spielt. Die mehr auf Beschau orientierten Temperamente (Phlegmatiker, Melancholiker) betrachten gern das Sosein ihrer Empfindungen und Gefühle. Die Handlungsorientierten (Sanguiniker, Phlegmatiker) wollen Tatsachen oder wenigstens Pläne hinstellen. Das muss nichts mit Mann und Frau zu tun haben.

Es mag natürlich trotzdem stimmen, dass die Frau in einem anderen Verhältnis zu ihren Gefühlen steht als der Mann, dasselbe mag für den Verstand gelten. Nein, es ist sogar ganz gewiss so! Nur: wie sehen diese Verhältnisse wirklich aus? Ist es gut, sowas auf die Kurzformel zu bringen, die Frau betone mehr das Gefühl, der Mann mehr den Verstand? In dieser Formelhaftigkeit empfand ich eben die Gefahr der Stereotypisierung.

Ähnliches gilt für die Charakterisierung von Völkern. Ja, was ist denn typisch deutsch? Du schreibst oben, was du für typisch deutsch hältst. Ich kann das Beispiel nur verschwommen nachvollziehen, weil ich nicht verstehe, auf welchen vermeintlichen Universalismus du dich beziehst.

Was ich allerdings verstehe, ist, dass hinter allerlei wohlklingenden universalistischen Worten sehr wohl Nationalismus verborgen sein kann. Und ich möchte es auch sofort unterschreiben, wenn du sagst, dass man das Gruppenhafte an sich eben gerade erkennen muss, um es zu überwinden, dass man es andererseits durch Leugnen nur zementiert. Das ist ja die Tragik der Politisch-Superkorrekten! Die eigenen "inkorrekten" Anteile verschwinden im Unterbewusstsein. Dann glaubt man, man befinde sich im "War on Terror" und so ein Zeug, kämpfe für die gute Sache gegen den Deibel, der irgendwo in Arabien hockt und man tue es für die universellen Menschenrechte...

Und der Steiner, klar, war ein Rassist, weil er die Rassen und Völker zum Teil auch mal kernig charakterisiert hat. Die Politisch-Superkorrekten sind da lange drüber weg. Blöd nur, dass sie nicht durchschauen, welcher implizite, aber dafür real wirksame Rassismus hinter den sozialen Zuständen des Anbaues jenes Kaffees steht, den sie im Supermarkt kaufen.

Eventuell verstehen wir uns, was diese Dinge betrifft. ...

Stefan Oertel hat gesagt…

... Fortsetzung:

Ich mag es, glaube ich, nur nicht, welches Zeugnis du dem Wirken des männlichen Prinzips in der Vergangenheit ausstellst (zum Bsp. auch wieder im letzten Abschnitt deines Kommentars oben). Hat sich in den bestehenden Strukturen wirklich die männliche Tendenz ENTFALTET oder hat sie sich nicht einfach nur von ihrer schlechtesten Seite gezeigt? Wer Organisationen kennt, die nur von Frauen betrieben werden, kann gelegentlich auch die schlechte Seite des Weiblichen erleben. Da passieren dann haarsträubende Sachen ganz anderer Art. Aber hat diese Tatsache der Entfaltung des Schlechten mit den Geschlechtern zu tun? Oder ist es nicht eben einfach die Entfaltung des Schlechten? Typisch männlich ist doch auch: ein Buch wie die "Philosophie der Freiheit" zu schreiben. Oder eben die Art, wie du deine Texte schreibst. Wenn sich das Männliche recht versteht, schreibt es halt solche Texte wie du oben und räumt dem Weiblichen seinen Platz ein, weil es durchschaut, dass das gut ist. Konsequent männlich sein könnte also auch heißen: sich selbst im rechten Griff zu haben und anderen Kräften den angemessenen Platz einzuräumen. Das Problem ist mMn gar nicht das "Männliche", sondern das "Schlechte" (oder etwas metaphysischer vielleicht: das "Böse"). Es macht aus jedem guten Prinzip - dem Männlichen, dem Weiblichen oder dem deutschen Geist - ein Zerrbild, sofern der Mensch nicht entsprechend entgegenwirkt.

Freilich, wenn du nun wiederum antworten würdest, dass das Schlechte im Allgemeinen darin besteht, dass ein Prinzip einseitig betont wird, dann müsste ich dir natürlich zustimmen. Von diesem Blickwinkel aus, besteht natürlich wirklich die Berechtigung, eine stärkere Einbringung "weiblicher Intelligenz" zu fordern. Ich wollte aber doch eine Lanze für das Männliche gebrochen haben und außerdem darauf hinweisen, dass es durchaus auch um die Frage geht, WIE sich solche Prinzipien wie das Männliche und Weibliche entfalten. Denn wenn - Achtung, SEHR HEFTIGER Stereotypen-Alarm! - die werten Damen jetzt anfingen, anstatt ihres im guten Sinne anteilnehmenden Gefühlslebens nur zwanghafte Harmoniebedürftigkeit, unklares Denken und Zickigkeit in die Gesellschaft einzubringen, hätten wir wohl wenig gewonnen...