04.02.2013

Essay: Die Rechtsform ist ein Kuckucksei

Spätestens mit der "Gründung" einer sozialen Initiative wird in ihr selbst genau das Antisoziale wirksam, was sie draußen in der Welt bekämpfen möchte. Wie also ist eine soziale Unternehmung überhaupt möglich? Und was ist nötig, um eine Initiative zu "gründen"? Ein Kommentar von Johannes Mosmann anlässlich der "Gründung" des Instituts für soziale Dreigliederung.

Johannes Mosmann: Die Rechtsform ist ein Kuckucksei

News: Institut für soziale Dreigliederung gründet gemeinnützige Unternehmergesellschaft

5 Kommentare:

Stefan Oertel hat gesagt…

Lieber Johannes Mosmann,
ein Beitrag von der gewohnten Qualität, klaren Gedankenführung mit kleinen kämpferischen Seitenhieben (die schätze ich besonders). Und wieder einmal treibt mich eine Frage um: Die übergestülpte Hierarchie ist ja wie ein hohles Exoskelett, dass aus Satzungen, Gesetzen und ähnlichem konstruiert wird, um dann mit diesem oder jenem Menschen ausgefüllt zu werden. Der Mensch wird zur Füllung, zum Funktionär, zum Schulleiter, stellvertretenden Schulleiter und so weiter. Der Vorteil bei der Sache ist, dass Verantwortungen relativ klar geregelt sind - jedenfalls hinsichtlich der Dinge, die den Konstrukteuren des Systems vorstellbar waren. Verantwortung bedeutet in diesem Fall auch nur: wer ist dran, wenn was schiefgeht?

Man kann andererseits in mehr selbstverwalteten Zusammenhängen (ohne vorkonstruiertes Exoskelett) beobachten, dass in bestimmten Bereichen keiner Verantwortung übernimmt. Zum Beispiel weil man es vergessen hat. Die Lehrerkonferenz hat zum Beispiel das Ausarbeiten einer vernünftigen Vertretungsplanregelung vergessen. Oder es werden so viele Lehrer auf einmal krank, dass der Plan kollabiert. Die Kinder kommen morgens zur Schule, sind in einem bestimmten Bereich der Schule unbeaufsichtigt, keiner bemerkt was, es kommt zum Unfall. Nehmen wir mal an, das Aufsichtsproblem lag letzten Endes darin begründet, dass die Konferenz beim Erstellen eines Planes geschludert hat. Sie hatte zwar delegiert, aber der, der delegiert wurde, war eine Schlafmütze und in der Konferenz hat man das vielleicht geahnt, aber aus Desinteresse nicht nachgefragt. - Wer ist jetzt schuld? Die Schlafmütze? Oder alle, weil man ja geduldet hat, dass die Sache schiefläuft? Kommen dann alle vor den Kadi?

In der Selbstverwaltung erlebt man nicht selten solche Situationen verschwimmender Verantwortung. Sicher, wenn einer delegiert ist, kann man sagen: der ist verantwortlich. Aber es ist eben auch das Delegieren eine Verantwortung und wenn man es vernachlässigt oder vergisst, kann es folgen haben. Dann ist aber rein theoretisch die "ganze Konferenz", also keine "juristische Person", aber alle Individuen als Gruppe verantwortlich. Oder? Es ist schwer vorzustellen, wie solch eine "kollektive Verantwortung" praktisch zu denken sein soll, schließlich zerfällt sie ja in die Verantwortung der Einzelnen. Teilt man sich dann notfalls die Zeit untereinander auf, die im Knast abzusitzen ist, wenn's soweit kommt?

Die Frage des Delegierens wurd in dem Essay auch gar nicht angesprochen, so weit ich mich erinnere.
Bester Gruß,
Stefan Oertel

François Germani hat gesagt…

Sehr schön,mit so ein Lebenvollentrieb!
Jetzt auc auf Französisch verfügbar:
http://www.triarticulation.fr/Institut/FG/Articles/2013-01-002.html
Herzlichen Dank.
François

Johannes Mosmann hat gesagt…

Lieber Francois Germani,

Ich freue mich sehr über die Übersetzung meines Textes ins Französische. Ganz herzlichen Dank für dieses tolle Geschenk, und für Dein Engagement im französischsprachigen Raum!

Herzliche Grüße
Johannes

Johannes Mosmann hat gesagt…

Lieber Stefan Oertel,

Ich habe heute von dem Fall gehört: eine Lehrerin hat ein Kind geschlagen. Die Eltern des Kindes haben das gemeldet. Das Kollegium hat daraufhin die Lehrerin gefeuert. Die übrigen Eltern übten dann aber Druck auf das Kollegium aus, bis die Lehrerin wieder eingestellt wurde. Was ist nun, wenn die Lehrerin wieder schlägt? Ich denke, man müsste in diesem Fall beiden, der Lehrerin und dem Kollegium, eine Schuld zusprechen. Der Lehrerin, weil sie geschlagen hat, und dem Kollegium, weil es insgesamt keine Verantwortung zeigt. Denn dass dieses Kollegium eine Entscheidung revidiert, weil die Eltern Druck machen, zeigt ja immerhin, dass es seine Entscheidungen gar nicht auf sachlicher Grundlage fällt. Und das stellt die ganze Schule in Frage.

Die Schuld kann also tatsächlich bei mehreren Personen liegen. Nur müsste auch in so einem Fall doch wieder gefragt werden: Wie lässt sich z.B. das Schlagen von Kindern möglichst ausschliessen? Und ich sehe eben nicht, wie die Übertragung der Schuld auf eine fiktive "juristische Person" irgendeine Besserung für die Kinder bringen könnte. Meine Frage ist ja nicht: wie verhindere ich, dass Täter persönlich haften müssen, sondern ich will gerade Verhältnisse haben, durch die nur solche Menschen tätig werden dürfen, die für ihre Taten dann auch gerade stehen müssen, die also wirklich Verantwortung tragen können. Wenn der Fall dann aber eintritt, dass der Lehrer haften muss, fällt seine Schuld natürlich auf die Schule insgesamt zurück. Die Kollegen werden sich fragen müssen: haben wir etwa geschlafen, als wir ihm die Aufgabe übertrugen? Gerade dann, wenn der Einzelne für seine Fehler haftet, sehe ich nicht, wie eine Schule ein Interesse entwickeln sollte, Aufgaben nur halbbewusst zu delegieren.

Eine wirkliche Erkenntnis muss doch in einer Schule stets angestrebt werden können. Die republikanische Verfassung meint diejenige Verfassung, durch welche das Erkenntnisstreben zur äußeren Voraussetzung der Gemeinschaftsbildung gemacht wird. Streit lässt sich in einer solchen Gemeinschaft also gerade nicht ausschließen. Es sollte der Streit vielmehr entstehen dürfen, es sollte zum Beispiel gerade die Frage auf den Tisch kommen dürfen, wer genau woran welche Schuld hat. Die Wahrheit in dieser Frage schuldet man nämlich der Entwicklung der Kinder. Also, gerade der von Ihnen angeführte Fall kann nicht als Aufforderung verstanden werden, das Delegationsprinzip wieder fallen zu lassen, sondern ist vielmehr selbst der beste Beweis dafür, warum das Delegationsprinzip konsequent ergriffen werden muss.

Anders stellt sich die Sache vielleicht dar, wenn man durch Gründung einer GmbH oder Ähnliches die Haftung für manche Dinge überhaupt ausschließen will. Letzteres kann ja pragmatisch sein, hat mit der Schuldfrage an sich aber nichts zu tun. In der Schuldfrage muss man trotzdem Klarheit gewinnen. Und sofern eine Tat strafrechtliche Relevanz hat, bleibt sowieso das Individuum haftbar. (Anders stellt sich die Sache vielleicht auch dann dar, sobald eine Gruppe von Menschen einen Einzelnen mit der Leitung ihrer Gruppe beauftragt. Das wird zwar in einer Waldorfschule kaum der Fall sein, aber doch in einem ökonomischen Betrieb. Dann haftet der Leiter, aber auch wieder nur, sofern es nicht strafrechtlich relevant ist.)

Vom Standpunkt des Geisteslebens gesehen lautet das Ziel, möglichst wenig Fehler zu machen, und nicht etwa, möglichst wenig für gemachte Fehler zur Verantwortung gezogen werden zu können. Ich denke, man muss hier ganz ehrlich sein, ob man die Sache wirklich aus einem rein pädagogischen Gesichtspunkt betrachten will, oder ob sich persönliche Interessen hineinmischen. Es ist deshalb schwierig, mit Lehrern über dieses Thema zu sprechen.

Herzliche Grüße
Johannes Mosmann

Stefan Oertel hat gesagt…

Lieber Johannes Mosmann,
vielen Dank für Deine Antwort.

Mir ging es übrigens nicht darum, die Schuld vom einzelnen Lehrer zu nehmen, sofern sie wirklich bei ihm liegt. Auch gegen das Delegationsprinzip habe ich nichts. Und obwohl ich Lehrer bin, sehe ich meine persönlichen Interessen nicht im Widerspruch zu dem von dir Geschriebenen, sondern ich sehe sie gewahrt. Ich sage das nur, weil deine Replik teilweise so klingt, als habest du mich so verstanden, als habe ich etwas gegen die Verantwortung des Einzelnen Lehrers oder gegen das Delegationsprinzip einwenden wollen.

Mit bestem Gruß
Stefan Oertel

(Wir hatten manchmal du, manchmal Sie, ich bleibe jetzt einfach mal bei ersterem, wenn's recht ist.)